Dienstag, 12. August 2014

Kapitel 23

Die Woche verging wie im Flug und es blieb mir nichts anderes übrig, als mich am Mittwoch, den 16. Juli 2014 morgens um 7:00 Uhr in der Klinik einzufinden. Ein Arzt klärte mich umfangreich über die bevorstehende Operation auf. Man würde mir Harnblase, Samenblase, Prostata und eine Menge Lymphknoten im Beckenraum entfernen. Die beiden Harnleiter, durch die der Urin ursprünglich von der Niere in die Blase gelangte, würden nun miteinander vernäht werden und in ein sog. Stoma münden. Dieses würde sich neben meinem Bauchnabel befinden und mit einem kleinen Stück vom Dünndarm gefüllt werden. Zukünftig würde mein Urin über dieses Stoma in einen Urinbeutel fließen. Die Aussicht auf diese Operation und die möglichen Komplikationen erfüllten mich mit einem derartigen Schrecken, dass ich mitten im Gespräch abschaltete und nicht mehr zuhören wollte. Ich schloss meine Augen und dachte mir: "Lasst mich doch in Ruhe sterben!" Dann gab ich vollkommen auf. Doch plötzlich wurde ich einer Energie wahr, die in mir aufstieg. Sie hatte etwas von einem Kampfgeist an sich und mir wurde klar, dass ich diese Operation machen würde. Zwei Tage später fand der große Eingriff statt.

Die Operation dauerte knapp fünf Stunden und als ich aufwachte, lag ich auf der Intensivstation. Da alles gut verlaufen war, wurde ich am nächsten Morgen auf die sog. Wachstation verlegt. Dort ging es mir nicht gut. Insgesamt lagen sechs Patienten in diesem Zimmer und an einen erholsamen Schlaf war nicht zu denken. Verschiedene Apparate piepsten ständig, die Krankenschwestern gingen ein und aus und irgendjemand stöhnte immer. Schließlich kam ich mit Gefühlen in Kontakt, die ich seit meiner Kindheit nicht mehr in dieser intensiven Form hatte: Ich fühlte mich ungeliebt, einsam und verlassen. Zwei Tage hielt dieser Zustand an, dann wurde mir klar, wie bedingungslos ich von meiner Frau und meiner Tochter geliebt wurde. Von diesem Moment an geschah eine tiefe Heilung in mir. Es war, als wäre meine Seele krank gewesen und ich begann nun, mich geborgen und glücklich zu fühlen. Nun machte meine Erkrankung einen Sinn. In den folgenden Tagen musste ich vor lauter Seligkeit viel weinen.

Am 22.07.2014 wurde ich auf ein Zweibettzimmer verlegt. Die Ruhe tat mir gut und hier endlich konnte ich entspannen. Zwei Tage später zog ich in ein Einzelzimmer um. Hier störte mich niemand mehr und ich konnte z.B. fernsehen, wann immer ich wollte. Zu diesem Zeitpunkt steckte je ein sog. Splint (Harnleiterschiene) in den Harnleitern, die nun im Stomabeutel mündeten. Sinn dieser Splints war es, die Harnleiter so geweitet zu halten, dass der Urin aus der Niere gut abfließen konnte.

Am 1.8.2014 wurde der rechte Splint entfernt, doch Stunden später bekam ich eine Harnwegsinfektion. An diesem Tage kamen gerade meine Tochter, ihr Lebensgefährte und mein kleiner Enkel aus München zu Besuch. In ihrer Anwesenheit bekam ich Schüttelfrost und musste mich mehrmals übergeben. Ich bekam Antibiotika und fühlte mich bald besser.

Am 5.8.2014 wurde der Splint (Harnleiterschiene) aus dem linken Harnleiter gezogen und zwei Tage danach bekam ich einen Nierenstau. Ursache waren entweder Metastasen oder Schwellungen. Um die Harnleiter wieder zu weiten, versuchten die Ärzte, zwei neue Splints durch das Stoma reinzuschieben, was jedoch misslang. Daher musste ich die Niere am 15.8.2014 punktieren lassen. Die Ärzte versuchten die beiden Splints durch den Rücken in die Harnleiter einzuschieben. Als ich jedoch aus der Narkose erwachte, steckten zwei Schläuche in meinem Rücken, aus denen mein Urin nun in zwei verschiedene Beutel ablief. Am 18.8. wurde der rechte Rückenschlauch gezogen und gleichzeitig ein Splint reingeschoben. Da sich der Splint auf der linken Seite nicht einschieben ließ und ich am 19.8. schließlich aus der Klinik entlassen wurde, trug ich einen Nierenschlauch am Rücken, der mit der linken Niere verbunden war. Der Urin lief durch diesen in ein Beinbeutel, während er rechts über den Harnleiter in den Stomabeutel lief. Meine Frau brachte mich vom Krankenhaus direkt zur Reha in die Klinik Bellevue nach Bad Soden-Salmünster.